Ähnlich wie in der Homöopathie handelt es sich auch nach dem Verständnis der chinesischen Medizin bei einer natürlichen Krankheit um eine, mehr oder weniger andauernde, Dysharmonie der Lebensenergien, in deren Folge die körperlichen, wie auch die geistig-seelischen Krankheitssymptome auftreten. Grundsätzlich gelten im Universum die selben Gesetzmäßigkeiten wie im Menschen. Ein längeres, und größeres Ungleichgewicht der Kräfte kann sowohl Störungen in der Natur als auch im Menschen hervorbringen.
Die Stärke der menschlichen Konstitution wird durch die Stärke der Erbenergie vorgegeben. Je mehr Erbenergie im Körper vorhanden ist, desto stärker die Konstitution. Die Erbenergie wird von den Eltern erhalten und ist in den "Nieren" gespeichert. Sie kann weder erneuert noch vermehrt werden. Um nicht vorzeitig schwach zu werden muss die Erbenergie ständig von der erworbenen Energie (aus Nahrung und Atmung) gestärkt und genährt werden. Sie ist zuständig für Entwicklung, Wachstum, Geschlechtsreife, Klimakterium, und beim Aufbrauchen für den Tod. Die Erbenergie ist für jede Energieproduktion, Energieumwandlung und jede Gewebsbildung verantwortlich.
Die Bildung der Schutzenergie (Abwehrenergie, Wei-Qi) des Menschen ist sowohl abhängig von ererbter, als auch von erworbener Energie, hat aber eine stärkere Beziehung zur Erbenergie. Die Schutzenergie zirkuliert tagsüber v.a. im Körperäußeren, außerhalb der Hauptmeridiane in Haut, Unterhaut, Muskeln und Sehnen. Sie ist dort für Wärmeregulation, Schweißbildung und Infektionsabwehr zuständig, und für die Abwehr gegen eindringende krankmachende bioklimatische Energien. Sobald sich die Schutzenergie gegen eine eindringende bioklimatische Energie zur Wehr setzt entsteht Fieber. Siegt die Schutzenergie, tritt Schweiß auf und die krankmachende bioklimatische Energie zerstreut sich (es gibt allerdings auch andere Ursachen für Schweißbildung, z.B. sog. "räuberschen" Schweiß, als ein Schwächezeichen). Nachts, wenn die Schutzenergie in die Tiefe dringt, wird man müde und die Augen schließen sich. Im Körperinneren hat die Schutzenergie die Aufgabe, die Organe zu "erwärmen".
Bei Schwäche der Nährenergie (diese zirkuliert im Köperinneren, in den Meridianen, im Blut, in den Organen) kann die Schutzenergie abends nicht mehr in die Hauptmeridiane eindringen und die Nährenergie beleben, da die Nährenergie wegen ihrer Schwäche (ähnlich vertrockneter Erde für Wasser) nicht für die Schutzenergie aufnahmefähig ist. Dadurch wird die Nährenergie noch schwächer und die Schutzenergie bleibt nachts nutzlos an der Körperoberfläche zurück. Dadurch entsteht nachts Schlaflosigkeit (übermäßige Energiefülle im Augenbereich) und z.B. nächtliches Hitzegefühl in den Beinen oder Füßen (die Schutzenergie sammelt sich in den Beinen, da sie nicht in die Yin-Meridiane eindringen kann), tagsüber Müdigkeit (Mangel an Nährenergie und Schutzenergie) oder Kopfschmerzen (Ansammlung von Schutzenergie im Kopfgebiet).
Die Krankheitsursachen (abgesehen von einer ggf. allem zu Grunde liegenden schwachen Erbenergie) unterteilt man in äußere krankheits-begünstigende Faktoren, innerliche krankheits-begünstigende und weder äußerliche noch innerliche krankheits-begünstigende Faktoren.
Unter den äußeren krankheits-begünstigenden Faktoren versteht man die sechs bioklimatischen Energien "Wind", "Kälte", "Sommerhitze", "Feuchtigkeit", "Trockenheit" und "Feuer". Diese sog. sechs Widrigkeiten treten oft auch zu zweit oder zu dritt auf und greifen den Körper gemeinsam an. Hierbei begünstigt der "Wind" als Vehikel das Eindringen der anderen Wetterfaktoren (Widrigkeiten) ins Gewebe. Diese sechs Faktoren dringen durch Haut, Mund und Nase in den Körper. Ob die sechs Wetterfaktoren in den Körper eindringen können, hängt nicht nur von ihrer Stärke ab, sondern v.a. auch von der Stärke der Schutzenergie.
Beispiele für Krankheiten oder Beschwerden: durch äußeren Wind (Niesen, Halskitzeln, Husten, laufende Nase, Nackensteifigkeit, Nackenschmerzen, Lähmungen wie Fazialisparese, wandernde Gelenkschmerzen) durch äußere Kälte (Verstopfte Nase, Husten, Atemnot, Schmerzen durch Qi- und Blutstauung, Steifheit, Sehnenkontrakturen), durch Sommerhitze (Abneigung gegen Hitze, Fieber, Reizbarkeit, Unruhe, diffuses Schwitzen, Kopfschmerz), durch Feuchtigkeit, wie feuchtes Wetter und feuchtes Wohnen (Schweregefühle, Appetitlosigkeit, Völlegefühl der Brust, lokalisierter Gelenkschmerz, Gelenkschwellungen, Magendrücken), durch Trockenheit (trockene Lippen, trockener Mund, trockener Hals, trockene Haut, trockener Husten), durch Feuer (hohes Fieber, Erregung, Unruhe, manisches Verhalten, gerötetes Gesicht, gerötete Augen, rote Zunge mit gelbem Belag, schneller Puls). Feuer ist eigentlich keine eigenständige bioklimatisch krankmachende Energie, sondern eine starke Hitze, die aus jeder der anderen krankheits-begünstigenden bioklimatischen Energien entstehen kann. Sobald Feuer im Organismus auftritt, wird es als innerer krankmachender Faktor aufgefasst.
Neben diesen sechs äußeren krankmachenden bioklimatischen Energien gibt es auch Krankheitszustände, die sich im Körper wie eine Schädigung durch kosmopathogene Energie manifestieren ("innerer Wind", "innere Kälte", "innere Nässe", "innere Trockenheit", "inneres Feuer"). Diese sind typische Symptome einer pathologischen Funktion innerer Organe und haben mit den bioklimatischen Energien nichts zu tun. Beispiele: innerer Wind (Schwindel, Zittern, Krämpfe, Epilepsie, wandernde, blitzartig auftretende Symptome, halbseitige Lähmungen, Leberenergiebezug), innere Kälte (Kälteempfindlichkeit, Husten, Kurzatmigkeit, Blähungen, Durchfälle, Magenschmerzen, Lendenschmerz, häufiges Wasserlassen, Kältegefühl im Unterbauch oder den Knien, Bezug zum Yang-Mangel von Lunge, Milz oder Nieren), innere Nässe (Appetitlosigkeit, Blähungen, Durchfall, Ödeme der Gliedmaßen, Schweregefühle, Benommenheitsgefühl, Harnwegsbeschwerden, Bezug zur Energieschwäche der Milz oder, seltener der Nieren), innere Trockenheit (Verwelken und Rissigwerden, Fieber am Nachmittag, Nachtschweiß, trockene Haut und Schleimhäute, Verstopfung, Magerkeit, Bezug Yin-Mangel und Verbrauch von Körperflüssigkeiten), inneres Feuer (beidseitig gerötete Wangen, Erregungszustände, Unruhe des Herzens, Schlaflosigkeit, wellenartige Hitzeanfälle, Nachtschweiß, spärlicher roter Urin, Hitze in Handtellern und Fußsohlen, Bezug zu Leere und Schwäche der Widerstandskraft des Körpers, "Leere-Feuer").
Zu den innerlichen krankheits-begünstigenden Faktoren zählen die "sieben Gefühle", d.h. seelische Erregungen: Wut und Zorn (Leberenergie-Bezug), Freude (Herzenergie-Bezug), Grübeln und Denken (Milzenergie-Bezug), Kummer und Trauer (Lungenenergie-Bezug), Angst und Schrecken (Nierenenergie-Bezug). Gefühle zu haben ist ein normaler Ausdruck der menschlichen Natur. Diese sieben Gefühle sind erst krankmachend und "verletzen" die ihnen zugeordneten Organe, falls sie im Übermaß einwirken. Bei energetischen Störungen und Krankheiten der zugeordneten Organe treten diese Gefühlsäußerungen ihrerseits auch als Krankheitssymptome auf.
Zu den weder äußerlichen noch innerlichen krankheits-begünstigenden Faktoren gehören eine falsche Lebensweise (z.B. übermäßiger Schlaf, Schlafmangel, übermäßige körperliche oder geistige Aktivität, übermäßige sexuelle Aktivität mit Schwächung der "Essenz-Aktivität" von Leber und Nieren) und eine falsche Ernährung (unregelmäßige Ernährung, Unterernährung, Überernährung, unreine Nahrung und Vergiftung, einseitige Ernährung). Zu viel Fett, Süßigkeiten, scharfe Speisen führen zu Nässe, Schleim, Hitze, zuviel rohe Nahrung oder kalte Getränke schwächen das Yang-Qi und führen zu innerer Kälte. Welches Ausmaß dabei krankmachend ist, hängt auch sehr von der Konstitution ab und kann in Krankheiten stark verändert sein. Das unnatürliche Verlangen oder die Abneigung nach Nahrungsmitteln in Krankheiten, kann allerdings auch als ein natürlicher Schutzmechanismus des Organismus auftreten! Das Saure hat Leberenergie-Bezug, das Bittere Herzenergie-Bezug, das Süße Milzenergie-Bezug, das Scharfe Lungenenergie-Bezug, das Salzige Nierenenergie-Bezug.